Freitag, 20. Mai 2016

Bernhard Cornwell "Der weiße Reiter" [Interview]


Hallo Helena! Was für ein Buch liest du gerade?


Ich lese aktuell "Der weiße Reiter" von Bernhard Cornwell. Das ist ein Buch aus einer Reihe - und zwar ist es aus der Uhtred-Saga und der zweite Band, den ich lese!


Um was geht´s da?

Das Buch spielt im neunten Jahrhundert in England zur Zeit der Wikingerangriffe. Es ist aus der Sicht eines jungen Mannes geschrieben, der Northumbrier ist, als kleiner Junge von den Wikingern entführt und großgezogen wurde. Seitdem ist er hin und her gerissen zwischen seiner northumbrischen Vergangenheit und seinem Zugehörigkeitsgefühl zu den Wikingern. Er beschreibt die Angriffe der Wikinger und die Gegenmaßnahmen der Engländer aus seiner Sicht. Darum geht es in der ganzen Reihe.



Du selbst hast ja unter anderem Geschichte studiert und dich dafür auch mit Wikingern beschäftigt - was schätzt, du: Wie historisch ist das Buch?

Ich hatte die Wikinger auch als Prüfungsthema im Examen und habe, als ich mich für´s Examen vorbereitet habe, gemerkt, dass es wirklich sehr historisch korrekt ist. Es kam auch dazu, dass ich beim Lernen Geschehnisse aus den Büchern wiedererkannt hatte und mich gefreut hatte, dass das Buch tatsächlich nach historischen Ereignissen geht. Gleichzeitig war ich traurig, weil ich mich damit selbst gespoilert habe (Lachen) und plötzlich wusste, wie es in den Büchern weitergehen wird. Aber es ist wirklich sehr gut! Natürlich sind auch mal ein paar Sachen hinzuerfunden und selbst ausgedacht. Aber das ist ja auch klar, da ja die Geschichtsschreibung nicht das Leben jedes Einzelnen darstellen kann. Abgesehen davon orientiert es sich wirklich genau an den wahren Begebenheiten. Bernhard Cornwell selber ist auch Historiker und hat erst kürzlich ein Buch über die Schlacht bei Waterloo herausgebracht und ich denke entsprechend gut kennt er sich da auch aus.


Der Mann kannte also seine Quellen!

Ja!



Wie bist du auf genau dieses Buch gekommen?

Durch meinen Freund! Ich wollte mal eine neue Reihe ausprobieren und mein Freund Marius hat alle Bücher gelesen und besitzt sie auch alle - auch eine andere Buchreihe von Cornwell - und hat mir die hier empfohlen. Dann habe ich angefangen und seitdem bin ich gespannt auf jedes weitere Buch! - An dieser Stelle noch ein Buchtipp von meinem Freund: die Artuschroniken sind sehr lesenswert!


Man hört das jetzt leise raus: Das ist eine Leseempfehlung?

Ja! Auf jeden Fall!



Was glaubst du, was für einem Typ Mensch so ein Buch gefällt?

Ich denke, es würde jedem gefallen, der historische Romane mag, aber eben auch fundiertere historische Romane. Also nicht nur "Ich setze eine Geschichte in einen historischen Kontext/ein historisches Setting", sondern, dass man wirklich sich an der Geschichte entlang hangelt. Und man kann das natürlich für jeden empfehlen, der sich für die Wikingerkultur interessiert und generell für die Wikingerangriffe im 9. Jahrhundert. Außerdem ist es für Leute, die eine kritische Stellung gegenüber dem Christentum einnehmen, weil der Protagonist ja durch seine Kindheit bei den Wikingern von deren Mythologie sehr geprägt ist und auch während den Büchern dem Christentum sehr skeptisch gegenüber steht und dementsprechend manche Aussagen von Priestern sehr ironisch kommentiert. Seine Erzählungen dazu sind wirklich sehr spaßig



Fantasy ist es gar keines, oder?

Ne, absolut kein Fantasy! Das ist wirklich draußen!



Würdest du sagen, dass das dann eine moderne Perspektive ist? Also dass der Ich-Erzähler als Mensch, der aus dem 21. Jahrhundertoder agiert - also denkt, handelt, fühlt - oder ist das tatsächlich zeitgenössisch?

Hm, gute Frage, da man sich ja nicht wirklich in die früheren Personen hineinversetzen kann, aber ich würde schon sagen: Eher zeitgenössisch! Der Protagonist vertritt schon manchmal eine Auffassung, oder handelt, bei dem man sich dann denkt: Oh, das ist aber krass! Irgendwie hätte ich das jetzt so nicht gemacht! - Also da stößt man sich schon daran, dass da diese mittelalterlichen Vorstellungen noch verankert sind, die nicht mehr in die heutige Zeit reinpassen. Daher würde ich schon sagen, dass er zeitgenössisch handelt.



Wir kennen uns ja, daher hast du mir auch immer wieder von deinem Buch erzählt, daher möchte ich dich jetzt noch fragen, ob du noch von einer Szene erzählen möchtest, die dir besonders gut gefallen hat?

Sehr gerne! Von der Szene habe ich dir auch schon mal erzählt und es geht darum: Der Protagonist schwankt ja immer wieder zwischen den Seiten. Er fühlt sich einmal als Wikinger, aber auch als Engländer. Und steht auch immer wieder auf verschiedenen Seiten. - Zu einem Zeitpunkt steht er auf der englischen Seite, ist in Begleitung König Alfred des Großen - das ist der, der es erstmals geschafft hat, die Wikinger in England zurück zu schlagen - und sie wurden in einen Sumpf zurück gedrängt, sind von Wikingern umgeben, wissen aber, wo eine Flotte der Wikinger in der Nähe lagert und haben vor, diese zu zerstören. Es geht dann also um die Frage: Wie zerstören wir die? Der Protagonist wird gefragt: Wie sollen wir das machen? Er meint, dass sei schwierig und dann versuchen andere Leute, die weniger qualifiziert sind, Tipps zu geben. Ein unfähiger Kommandant schlägt vor: "Wir werden mit Booten heranfahren und brennende Fackeln auf die Boote werfen!" Der Protagonist meint daraufhin ganz kühl: "Ne, die haben Wachen! Die werden das sofort sehen!" - "Ja, dann reisen wir bei Nacht!" - Daraufhin der Protagonist wieder: "Es ist Vollmond! Die werden uns zuerst sehen! Und wenn Wolken vor den Mond kommen, sehen wir die Flotte nicht!" - Dann meint, und das ist genau der Punkt mit der ironischen Betrachtungsweise des Christentums, ein Bischof: "Gott wird Feuer vom Himmel herunterregnen lassen!" Der Protagonist beschreibt eben, wie alle still sind und das erstmal nicht kommentieren und dann weitermachen, als hätte er gar nichts gesagt. Im Nachhinein unterhält sich der Protagonist mit seinem Kumpel, der mit dabei war und der meint dann auch ironisch: "Ja, dann werden wir einfach darauf warten, dass Gott Feuer regnen lässt!"
Das ist alles so schön ironisch und du merkst so richtig, wie tatsächlich damals die Engländer, beziehungsweise England kann man ja noch nicht so sagen, die Leute von Wessex versucht haben, die Wikingerangriffe durch Gläubigkeit zurück zu schlagen! Das war wirklich eine der Gegenmaßnahmen, die sie getroffen haben: Durch vermehrtes Beten und größere Frömmigkeit die Wikinger abzuhalten. Das ist hier schön übernommen worden und sehr schön ironisch dargestellt!


Also sind wir wieder bei dem Punkt: Der Mann kennt seine Quellen!

Ja, auf jeden Fall!



Jetzt ein ganz kurzer Schwenker: Wenn der Protagonist immer wieder die Seiten wechselt, ist das ja eigentlich so eine Verrätersau! Ist er trotzdem sympathisch? Ist er dir sympathisch?


Mir ist er super sympathisch! Ich verstehe, wieso er hin und her schwankt! Weil ich pro Wikinger bin, wünsche ich mir die ganze Zeit, dass er wieder zu den Wikingern geht, aber ich kann verstehen, dass er die Seiten wechselt. Er ist nicht in der Situation, dass er sich entscheidet, die Seiten zu wechseln, sondern er kommt in Situationen, dass er zum Beispiel in der Gefangenschaft von Wikingern ist, von einer anderen Wikingergruppe, die eben nicht mit ihm befreundet ist, und seine Wikingerfreunde befreien ihn. Dann ist er in der Situation: Er ist schon bei ihnen und kann jetzt nicht zu den Engländern zurück, dann kämpft er mit den Wikingern. Dann gerät er aber wieder zu den Engländern zurück, weiß aber nicht wo die Wikinger, die er kennt, sind und beschließt: Ok, ich bleibe jetzt erstmal da. - Das Problem ist einfach, dass seine hin und her Gerissenheit davon abhängt, dass er noch einen Besitz in Northumbria hat, den sein Onkel ihm gestohlen hat. Er sieht sich immernoch als Besitzer dieser Burg und möchte sie wieder zurück haben! Das ist so ein Stolz über sein Erbe, das er zurückhaben möchte. Das ist dann diese Tendenz dazu, wieder zu den Engländern zu gehen. Gleichzeitig ist es aber das Gefühl der Freiheit, machen zu können, was er möchte, das ihn dazu verleitet zu den Wikingern zu gehen, weil König Alfred ihn schon sehr unter Druck setzt und klein hält. Gerade was das Christentum angeht: Der König möchte, dass er wieder gläubig wird und da fühlt er sich sehr eingeengt. Dementsprechend kann ich verstehen, dass er da hin und her gerissen ist, aber er ist jetzt nicht so einer, der von jetzt auf nachher sagt: Ich wechsle jetzt die Seiten und fühle mich als Verräter. Es ist immer situationsgebunden! - Er ist sich auch darüber bewusst, dass er von manchen aus Wessex als Verräter gesehen wird. Er hat zum Zeitpunkt im Sumpf Alfred sogar einen Treueeid geschworen. Als er später wieder unter königlichen Druck gerät, den er unfair empfindet, überlegt er sogar, wieder abzuhauen. Aber die Ungewissheit darüber, ob seine Wikingerfreunde noch leben und der Treueeid halten ihn davon ab. Er weiß, dass er mit der Flucht entgültig als Verräter gelten würde und bleibt.
 



Also sehr glaubwürdig?

Ja!



Jetzt noch eine persönliche Frage: Warum die Wikinger?

Warum die Wikinger? (lacht) Das hängt ein bisschen mit meinem Hobby zusammen: Ich mache ja LARP und unsere Gruppe sind hauptsächlich Charaktere die sich an nordischen Charakteren orientieren. Ich würde jetzt nicht sagen, wir sind Wikingern, sondern wir sind Nordcharaktere. Einfach damit wir nicht in den historischen Kontext hineinrutschen. Weil ich trotzdem eine Orientierung haben wollte, habe ich mich über die Wikingerzeit informiert und habe gemerkt, dass das immer interessanter und interessanter wird, weil das eben eine ganz andere Kultur ist. Und wie sie es geschafft haben, sich durchzusetzen! Die Wikinger haben Kontinentaleuropa und England einfach überrannt, weil sie in gewisser Weise fortgeschrittener waren: Sie griffen vom Wasser aus an und damit konnten die Europäer nichts anfangen. Sie kannten das nicht, dass die Leute urplötzlich auftauchen! Außerdem haben sie die Gunst der Stunde ausgenutzt und angegriffen, als Streitigkeiten der Herrscher (z.B. die zerstrittenen Söhne König Ludwigs des Frommen im Frankenreich) das Land schwächer gemacht haben. Das ist so spannend, wie sie das tatsächlich umgesetzt haben. Und ja - die Wikinger sind halt einfach cool!

[Anmerkung: Wer sich darunter jetzt gar nichts vorstellen kann oder sich mehr für Helenas Hobby interessiert, mag sich vielleicht ein bisschen auf ihrem Blog(https://fadenspielerei.wordpress.com/) oder im Forum ihrer LARP-Gruppe (http://nyttland.xobor.de/) umschauen.]


Wenn du dann dieses Buch magst, ist es ja auch ein besonderes Kompliment an dieses Buch!

Ja! (lachen) Würde ich schon sagen! - Das einzige, was ich an diesem Buch nicht mag, ist: Der Protagonist erzählt seine Geschichte aus der Zukunft, also rückblickend, was er als Kind, jugendlicher und junger Mann erlebt hat. Und er macht das ganz oft, dass er dann, wenn er irgendwelche Personen kennen lernt und mit denen Zeit verbringt,  foreshadowing macht und sagt: Später sollte ich diese Person hassen. Punkt! Und dann redet er einfach weiter und du stehst da und denkst: Und wieso? Und weshalb? Und was ist passiert? - Und dann passieren ein paar Sachen und du weißt nicht: Ist es deswegen, dass er denjenigen gehasst hat oder kommt nochmal was? Da steht man die ganze Zeit unter Spannung, weil man nicht weiß: Warum hasst er ihn? Und wie lange? Und wann passiert das?


Also der Autor spielt mit dir!

Ja!



Wie weit bist du jetzt?

Ich bin jetzt (schaut nach) auf Seite 290 im zweiten Band. Es gibt aktuell sieben oder acht - ich habe also noch was vor mir! (lachen)



Liest du die alle?

Ja!



Dann viel Spaß und danke für das Interview!

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